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Marion

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Veröffentlicht am Mittwoch, den 15. November, 2000 - 18:48:   Diesen Beitrag bearbeitenSchnellansichtDiesen Beitrag drucken   Beitrag verschieben (Nur für Moderatoren)

Der blinde Spieler
von
Ignaz Wrobel


Einst saß ein blinder Mann an seinem üblichen Platz und spielte sein Instrument. Seine Melodien erfüllten die Luft, die Leute blieben vor ihm stehen, dankbar registrierten sie die bekannten Weisen, wie immer spendeten sie ihren Applaus. Nicht daß er ein besonderer Virtuose gewesen wäre, aber seine Noten kamen gekonnt, sie streichelten ein wenig, zupften hie und da eine verborgene Saite, man konnte seinen eigenen Gedanken für Augenblicke schwerelos nachhängen, und jeder ging immer wieder mit dem Gefühl weiter, ihm sei etwas zugeflüstert worden, unendlich leise, so daß wirklich nur er, nur er allein es verstanden hatte. Der Mann spürte die Zufriedenheit, die er verbreitete, nichts sehen konnte er an den Gesichtern, nichts an der Haltung seines Publikums, sondern er hatte seine anderen Sinne so sehr geschärft, daß er wie einen Windhauch auf der Haut wahrnahm der Menschen Sorgen, Freuden, Leid, Liebe, Hass. Und immer fand er den richtigen Ton, die Verliebten noch verliebter zu machen, den Hassenden zu versöhnen, den Sorgenvollen aufzumuntern, den Leidenden aufzurichten ...

Eines Tages hörte er ein leises Flattern, so wie die Flügel einer Taube und eine Stimme sprach zu ihm ins Ohr:


Deine Töne haben mich erreicht, so samten weich

bis hinauf zu meiner Wolke, dort im Himmelreich

auch Engel können hören

deiner Melodien sanften Klang

sie können uns betören

Nun gebe ich dir drei Tage lang:

Drei Wünsche sollst Du haben

Seltenst Glück und prächtig' Gaben ...


Der Mann, der schon viel erlebt und gehört hatte, war nicht erschrocken, er wußte sofort, was sein erster Wunsch sei:


Gib mir die Gabe, zur Musik zu singen,

damit Ohr und Seel' in gleicher Weise

sich begeben auf eine nimmer endend Reise,

sich vermählen, unendlich sich gelingen.


Es geschah, daß nun eine Stimme, die Stimme des blinden Mannes sich erhob, über Plätze, Straßen, Hinterhöfe, in jedem Zimmer klang diese Stimme, die alles bewegte und doch alles zum Stillstand brachte. Nicht mehr wurden verborgene Saiten gezupft, sondern alle Körper der Menschen hallten wider von den wunderbaren Worten, jedes Wort anders für jeden anderen Menschen in der Stadt und wie eine Wolke legte sich Frieden über alles Treiben und Handeln, Zwiste lösten sich auf in brüderlicher Umarmung, das Feilschen endete im richtigen Preis, Neid verblaßte und Richter wurden milde.

Am zweiten Tag flüsterte die Stimme wieder in das Ohr des Mannes:


Dein erster Wunsch war wohl getan,

nur äußere deinen Zweiten.

Wähle weise, nicht als Scharlatan,

dann will ich Freude dir bereiten.


Der Mann sprach:


Mein Leben lang war ich immer blind,

zwar ich mich stets wieder find',

doch sehen einmal der Blumen Farben,

danach mußte ich all die Jahre darben.

So laß mich sehen, wer wir wirklich sind.


Und der Mann sah, sah die Gesichter, die ihn umgaben, die Kleider, die Blumen, die er nur gerochen, deren Blüten aber nie seine Augen berührt hatten. Er sah die Herzen der Menschen, ihre Seelen, die geheimsten Wünsche, die verborgensten Begierden, den liebenden Blick, die Trauer über einen zu früh Gegangenen, die Raubvogelblicke, die Taubenaugen, das reine Antlitz der Unschuld und die Falten des Kummers. Mit reiner Stimme und klarem Blick besang der Mann nun, was er sah, was er neu entdeckte durch des Engels Geschenk.

Am dritten Tag sprach der Engel:


Was ist nun dein letztes Begehr?

Bedenke, keinen and'res hast du mehr;

Wäge also mit Bedacht, sorgsam und klug,

sei für den richtigen Wein der rechte Krug.


Der Mann erwiderte:


Vermessen mag mein Wunsch erscheinen,

doch möcht ich gern bei dir sein und den deinen.

Das Himmelszelt durchqueren mit federleichten Schwingen,

der Sonne und dem Mond gar selber meine Lieder bringen,

sehen auf der Erden kreiselnd Wege,

aller Menschen Weg' und Stege.


Und mit einem Male erhob er sich, er wurde federleicht, schwebte, schwebte hoch und höher, über die Köpfe der Menschen hinweg, über die Dächer, das Land, die Flüsse, die Täler, Berge, den Kontinent, hinein in das Azurblau, die leichte Hülle, die die Welt umgibt. Mit einem sanften Schlag seines Willens konnte er die Ozeane überqueren, die einsamen Atolle erblicken wie auch das ewige Eis im Norden und Süden. Er sah die Menschen, alle Tiere, vom Blauwal bis zur Ameise, alle Pflanzen, wie sie ihre Blüten der Sonne entgegenstreckten, er sah den Mond hinter der Krümmung der Welt und die Sonne, die alles beherrschte.

Mit einem Male wurde im schwindelig, Angst erfüllte seine Brust, ein Brausen und ein Schreien peinigte seine Ohren, laut und lauter wurde der Orkan, der auf ihn eindrosch, ihn schüttelte wie eine einzelne Ähre auf dem Feld. Er rief in höchster Pein dem Engel zu, er möge ihn von dieser Qual, die keine Ursache zu haben schien, ihn aber gepackt hatte, mit Klauen und Fängen zog in einen Wirbel, Strudel der Millionen Worte, Klänge, Töne, Stimmen, Geräusche, er möge ihn davon befreien. Der Engel sah ihn an und sprach:


Das, was du nun vernimmst und was dich quält,

ist der Mensch an sich, der sich von der Erde schält.

Die Essenz des Leids, der Freud, des stetig Treibens,

des ständig Gehens, Wartens, des ewig Bleibens,

der erste Schrei im frisch gebor'nen Leben,

der Sterbenden kaum merklich letztes Beben.

Grenzenlos ist alles hier, ohn' Start und Ziel,

unbändig gebändigt, für deine Seele viel zu viel.

Erdgebunden bist du, wirst es immer wieder sein,

liebst die Visionen und erliegst doch nur dem Schein.

Würdest du dir halten, was dich gelüstet,

hättest du dich nie damit gebrüstet,

zu sein wie wir, die wir alles hören, seh'n,

würdest du dies Brausen nun versteh'n,

statt dich zu krümmen, wimmern wie ein Tier:

Dann wär' Platz in diesem Reich, hier neben mir.


Der Mann erwachte aus seinem tiefen Schlaf, in dem er geflogen war, einmal um das Rund der Welt, gesehen hatte, was noch keiner vor ihm sah. Es begann zu regnen, als er sein Instrument einpackte, er spürte das Salz des Regens auf seiner Haut, wie die Tränen eines Engels.

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