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ÜBER DIE BILDUNG DER FLUßBETTEN:

DAS BAER–BABINETSCHE GESETZ


Peeter Müürsepp


Die Einleitung:

Es ist schon lange bekannt, daß das rechte Flußufer gewöhnlich steil und das linke flach ist. Bereits der geniale russische Wissenschaftler Michailo Lomonossow beschrieb im Jahr 1763 dieses Phänomen. Die erste Deutung dieser Erscheinung stammt von Karl Ernst von Baer (1792–1876) aus dem Jahr 1856. Die erste einwandfreie Erklärung gab jedoch Jacques Babinet (1794–1872), Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften, im Jahr 1859 (Babinet, 1859).

Dank der Hartnäckigkeit Baers und seiner durch viele Publikationen erlangten Autorität wurde seine Formulierung als das Baersche Gesetz bekannt, Babinet hingegen wurde vergessen. Seine Bedeutung vergaßen selbst die Franzosen, und die ungenaue Baersche Fassung findet noch heute Anhänger. Zum Beispiel wiederholt Martin Gardner, der durch viele populärwissenschaftliche Veröffentlichungen bekannt wurde, denselben Fehler, der auch Baer unterlaufen war (The Ambidextrous Universe, 1964),


Die Deutung nach Baer

Baer veröffentlichte seine Erläuterung erstmalig in der Nr. 40 der "Àñòðàõàíñêèå ãóáåðíñêèå âåäîìîñòè" (Astrachaner Gouvernements–Nachrichten) vom Oktober 1856 in Form eines Briefes, der sich am Ende eines Artikles von Dr. Bergsträsser (inoffizieller Teil, S. 149–151) unter dem Titel findet: "Ïèñìî Áýðà ïî ïîâîäó ñòàòüè äîêòîðà Áåðãøòðåññåðà "Îáìåëåíèå óñòüåâ ðåê âîîáùå è ðåêè Âîëãè â îñîáåííîñòè" (Das Seichterwerden der Flußmündugen im allgemeinen und insbesondere der Wolgamündung). In seinem Brief schreibt Baer Folgendes: "Die Erde drecht sich bekanntlich um ihre eigene Achse von West nach Ost. Also muß sich jeder Ort der Erdoberfläche um so schneller drehen, je näher er am Äquator liegt. Jeder Ort am Äquator hat täglich einen Weg von 5400 Meilen zurückzulegen. Ein Ort auf dem 60. Breitengrad dreht sich halb so schnell, und ein Ort in der Nähe des Pols bewegt sich fast gar nicht. Demnach hat jeder Körper auf der Erde dieselbe Geschwindigkeit wie der Ort, an dem er sich befindet. Dies ist eine in der Physik seit langem bekannte Tatsache, die also nicht weiter bewiesen zu werden braucht. Ich weise lediglich darauf hin, daß wir alle an die nächste westliche Wand gedrückt werden müßten, wenn wir uns nicht mit der Erde mitdrehten und sie sich allein nach Osten bewegte. Wenn sich also ein Körper nach Süden oder Norden bewegt, so verfolgt er außer der Süd- oder Nordrichtung noch die ihm von vornherein durch die Erdumdrehung gegebene Ostrichtung und wird diese Bewegung weiterführen, so lange er nicht auf ein nennenswertes Hindernis stößt.

Wasser, das in Polrichtung fließt, drängt also in der Nähe des Äquators viel stärker nach Osten als in Gebieten mit geringeren Breiten: es drängt also dann stärker nach dem Ostufer seines Bettes. Das Wasser, das in seinem Flußbett in Richtung Äquador fließt, erhält bei seiner Erdumdrehung eine geringere Geschwindigkeit, als es bei zunehmender Annäherung an den Äquador hat, und es bleibt deshalb in seiner Umdrehung nach Osten etwas zurück, oder – was dasselbe ist – es drängt nach Westen. Auf unserer nördlichen Hemisphäre ist bei den in Polrichtung fließenden Flüssen das Ostufer, bei den in Richtung des Äquators fließenden das Westufer das rechte Ufer. Das Wasser muß also bei allen Flüßen, die nicht parallel zur Erdumdrechung fließen, nach dem rechten Ufer drängen.

Auf die Flüsse, die direkt von Ost nach West oder umgekehrt fließen, hat die Erdumdrehung keinen derartigen Einfluß. So kann man beispielweise an der Kura beobachten, daß ihre Ufer bei jeder Biegung eine Veränderung aufweisen und bald auf der linken, bald auf der rechten Seite steiler sind. Die Gesetzmäßigkeit dieser Erscheinung an den Flußkrümmungen wurde schon seit langem erkannt, aber es hat anscheinend niemand auf die unumgängliche Einwirkung hingewiesen, und das ist um so erstaunlicher, als alle Physiker schon längst den Einfluß der Erdumdrehung auf die Winde, d.h. die Luftbewegung, erkannt haben. Sollten sie etwa der Meinung sein, diese Kraft sei zu unbedeutend?

Natürlich kommt sie in den Gebirgen zum Verschwinden und wirkt nur wenig auf das massive Festland ein, aber sie hat zweifellos eine ganz auffällige Wirkung im weichen Erdreich. Es kann kein Zufall sein, daß alle großen Flüsse Rußlands, die nach Süden fließen, ein steiles Westufer, und alle, die nach Norden fließen, ein steiles Ostufer haben. In Rußland ist diese Erscheinung um so auffallender, da es dort im Süden gewaltige Steppen und im Norden unermeßliche Sümpfe gibt." (S. 150ff.).

Baer entwickelte seine Ansichten in einem Artikel weiter, der sich im Januarband des "Ìîðñêîé ñáîðíèê" (Marinearchivs) von 1857 unter der Überschrift findet: "Ïî÷åìó ó íàøèõ ðåê, òåêóþùèõ íà ñåâåð èëè íà þã, ïðàâûé áåðåã âûñîê, à ëåâûé íèçìåí?" (Warum bei unseren Flüssen, die nach Norden oder Süden fließen, das rechte Ufer steil und das linke flach ist) (inoffizieller Teil, S. 110–126). Baer führte als Ursache hierfür die Erdumdrehung an und fügte hinzu (S. 117), daß die Erdumdrehung auf parallel fließende Flüsse keine ablenkende Wirkung zeige – was bekanntlich unrichtig ist.

In deutscher Sprache erschien das Baersche Gesetz zum ersten Mal 1860 (Baer, 1860). Die Erklärung stimmt hier mit dem überein, was Baer bereits früher in seinen auf Russisch veröffentlichten Aufsätzen gesagt hat. Wir sehen, mit welcher Folgerichtigeit und Gründlichkeit Baer die Naturerscheinungen analysiert und in den Rahmen eines allgemeinen Naturgesetzes zu integrieren versucht, wobei er die Rotation der Erde zugrundelegt. Doch seine Erklärung ist falsch oder zumindest fehlerhaft, wie wir noch sehen werden.

Das Verhalten der französischen Wissenschaftler und Publizisten ist in diesem Zusammenhang etwas merkwürdig. Den theoretischen Grund des Baerschen Gesetzes legte 1835 Gaspard Gustav Coriolis; 1837 wandte es Siméon Denis Poisson auf den Flug von Geschossen an und nannte konkrete Beispiele.

Auf den bekannten französischen Physiker Léon Foucault (1819–1868) hinweisend publizierte Babinet eine Reihe von Aufsätzen, in denen er – anders als Baer – eine richtige Darstellung bot. Doch die Enzyklopädie "Grand Larousse" und die "Dictionnaire Encyclopédique Quillet" verschweigen die Rolle Babinets völlig.

Wie beurteilen nun russische Wissenschaftler das Baersche Gesetz?
Das Akademiemitglied Lev Berg schreibt in seinem 1954 erschienenen Buch "Die Geschichte der russischen geographischen Erforschungen": "Wir können folgende Entwicklungsstadien bei den Versuchen feststellen, den Einfluß der Erdrotation als Erklärung der Neigungsverschiedenheit der Flußufer heranzuziehen:

1. Zuerst äußerte Slowzow im Jahr 1827 die Ansicht, die Erdrotation wirke auf die Uferform der sibirischen Flüße ein, aber er gab nur eine sehr unvollkommene Erklärung, die nach seiner Meinung nur für die von Süden nach Norden fließenden Flüße galt.

2. Der Wirklichkeit viel näher kam Baer im Jahr 1856, als er eine Erklärung gab, die sich auf alle Flüße bezog, welche in der Richtung des Meridians von Süden nach Norden und von Norden nach Süden fließen.

3. Schließlich kam Babinet im Jahr 1859 zu der einzig richtigen Verallgemeinerung, daß nämlich der Einfluß der Erdrotation an allen Flüßen festzustellen sei, ganz gleich in welcher Richtung sie fließen, also in Richtung des Meridians, des Breitengrades oder in irgendeiner anderen Richtung (mit Ausnahme des Äquators)." (Berg, 1954).

Sergei Voskressenski erwähnt in seinem 1971 erschienenen Buch "Dynamische Morphologie der Uferbildung": "Einige große Forscher – J. Edelstein, A. Habakov – schreiben, die Coriolis–Beschleunigung könne nur bei den Flüßen erscheinen, die in der Richtung des Meridians fließen. Leider findet man diesen Fehler bei vielen Autoren." Auch die "Große Sowjetische Enzyklopädie" enthält denselben Fehler.

Baer waren Babinets Artikel bekannt. Das geht aus seinem 1860 erschienenen Aufsatz "Über ein allgemeines Gesetz in der Gestaltung von Flußbetten" hervor: "Meine ersten Aufsätze über diesen Gegenstand, in russischer Sprache publiziert, bevor Hr. Babinet oder sonst ein Physiker oder Mathematiker diesem Gegenstande, so viel mir bekannt, seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, nahmen allerdings wenig darauf Rücksicht, daß auch bei der Bewegung in der Richtung eines Parallelkreises der bewegte Körper nicht in der WO–Richtung bleiben könne. /.../ Es beunruhigt mich /.../, daß viele Mathematiker und Physiker die Überzeugung aussprachen, die Abweichung müsse bei allen Richtungen der Strömung gleich sein. Die Beobachtungem an Flüßen scheinen nicht dafür zu sprechen, so schwierig auch bei so mannigfaltigen Nebenverhältnissen, daß kein Flußtal einem anderen gleich ist, die Vergleichung wird. Ich bin den Embachfluß, der im Allgemeinen nach der Richtung des Parallels fließt, hinauf und hinab gefahren, meine Aufmerksamkeit nur auf die Uferbildung richtend. Mir schien allerdings das rechte Ufer mehr angegriffen als das linke, aber so wenig entschieden, daß ich nicht den Gegenbeweis führen könnte, wenn jemand behauptete, es sei kein Unterschied wahrnehmbar.".

Auch in seinen 1865, 1873 und 1876 veröffentlichten Aufsätzen blieb Baer hartnäckig bei seiner Meinung, daß nur die Flüsse, die in der Meridianrichtung fließen, das rechte Ufer unterspülen.

Es ist wirklich merkwürdig: Babinet wurde vergessen, auch von den Franzosen, aber die Formulierung Baers findet noch immer Anerkennung. Das Baersche Gesetz wird kritiklos präsentiert, so wie es seinerzeit formuliert wurde. Demgegenüber wird das korrigierte Baersche Gesetz von den russischen Wissenschaftlern immer häufiger als das Baer–Babinetsche Gesetz bezeichnet. Die Berichtigung ist offensichtlich und sollte sich allgemein durchsetzen.

Es gibt jedoch keinen Grund, Baer irgendwelche Vorwürfe zu machen. Im Jahr 1856, als er sein Gesetz zum ersten Mal publizierte, war er bereits 64 Jahre alt und konnte innerhalb der Biologie auf großartige naturwissenschaftliche Errungenschaften zurückblicken. In diesem Alter nun begann er sich mit Problemen zu befassen, die seinem Fachgebiet fernlagen. Sein Gesetz ist logisch einfach und leicht verständlich, und Baer war vollkommen überzeugt von seiner Richtigkeit. Innerhalb der Gesetze der Mechanik sind gerade die mit der Coriolisbeschleunigung verbundenen Phänomene und diejenigen, die mit den relativen Bewegungen zu tun haben, die kompliziertesten und bereiten nicht nur Studenten, sondern oft auch Dozenten der Mechanik große Schwierigkeiten. Aber es kann auf Dauer nicht angehen, daß einige Wissenschaftler fehlerhafte Behauptungen wiederholen, obwohl sie schon längst korrigiert wurden.


Die Formulierung des Baer–Babinetschen Gesetzes

Bei der Betrachtung der Wirkung der Corioliskraft auf die Flußbetten machen viele Geographen und Geologen denselben Fehler wie Baer. Leider wird das auch in mehreren, sonst guten Enzyklopädien fehlerhaft dargeboten.

Deshalb soll jetzt das Baer–Babinetsche Gesetz formuliert werden: die Flüße der Nordhemisphäre unterspülen mehr das rechte und die Flüße der Südhemisphäre mehr das linke Ufer. Deswegen ist das rechte Ufer der Flußbetten auf der Nordhemisphäre meistens steil, das linke sanft, auf der Südhemisphäre ist es umgekehrt. Das verursacht die von der Erdrotation bedingte Corioliskraft, welche von der geograpischen Breite j des Ortes und von der Fließgeschwindigkeit n abhängig ist. Die Coriolisbeschleunigung ist aus der Formel w=2wn sin j berechenbar, wobei w die Winkelgeschwindigkeit der Erde ist (Müürsepp, 1987).

In der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts war das Baersche Gesetz in Mitteleuropa sehr populär. Dissertationen und Aufsätzen wurden darüber geschrieben und viel gestritten. Schließlich erklärte der Albert Einstein in seinem Aufsatz "Die Ursache der Mäanderbildung der Flußläufe und des sogenannten Baerschen Gesetzes" einfach und elegant die Wirkung der Coriolskraft (Einstein, 1926).




Literatur


Babinet, J. Influence du mouvement de rotation de la terre sur le cours des riviéres. // Comptes rendus hebdomadaires des séances de l’academie des sciences. Paris, 1859, tome 49(1859), pp. 638–641.

Baer, K E v. Über ein allgemeines Gesetz in der Gestaltung der Flußbetten. // Kaspische Studien, 1860, VIII, S. 1–6.

Berg, L. S. P. A. Slowzow und das Baersche Gesetz. // Geschichte der russischen geographischen Entdeckungen. Gesammelte Aufsätze. VEB. Bibliographisches Institut, Leipzig, 1954.

Einstein, A. Die Ursache der Mäanderbildung der Flußläufe und des sogenannten Baerschen Gesetzes. // Die Naturwissenschaften, 1926, 11, S. 223–224.

Müürsepp, P. Warum die Flüsse das rechte Ufer unterspülen. // Geowissenschaften in unserer Zeit, 1987, Nr. 3, S. 102–106.

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