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Veröffentlicht am Freitag, den 23. März, 2001 - 11:58:   

Schöner als jedes Märchen

In Rhein und Elbe, einst Kloaken, geschieht ein blaues Wunder: Der Lachs wird wieder eingebürgert. Doch jetzt droht dem sensiblen "König der Fische" Gefahr - ausgerechnet durch Umweltschützer. Von Jochen Bölsche


Kein Mensch war Zeuge. Nur eine Videokamera hielt den historischen Augenblick fest: In einem wasserdurchspülten, neonhellen Kontrollschacht, hinter einer sechs Zentimeter dicken Glasscheibe, huschte bei Stromkilometer 334 ein majestätischer Lachs rheinaufwärts - am 10. Juni 2000, Punkt 14.28 Uhr.
"Freudig erregt" reagierte Ingo Nöthlich auf diese Entdeckung. Der Biologe, der die elektronische Wacht am Rhein kontrolliert, hatte Anlass zum Frohlocken: Wohl nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten hatte ein südwärts schwimmender Lachs aus eigener Kraft den kritischen Punkt, die Staustufe beim badischen Iffezheim, überwunden.

In den sechziger Jahren galt der Lachs, von Anglern als "König der Fische" verehrt, in Deutschland als ausgerottet - Folge eines "heute unfassbaren Wahnsinns im Umgang mit der Umwelt", so Werner Meinel, Präsident des Verbandes Deutscher Sportfischer (VDSF): "Damals haben viele unserer Flüsse mehr Chemie- und Kloaken-Cocktail enthalten als Wasser."


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Teurer als ein BMW Z 8

Im Jahre 1980 veröffentlichten prominente Tierfreunde um den TV-Naturschützer Horst Stern ein Requiem für den Lachs: "Für Abwasserkanäle ist er nicht geschaffen." Der Nachruf endete mit der Frage: "Wird er je wiederkommen können?"

Dass Lachse im Sommer 2000 den Rhein wieder emporwandern bis zu den Mündungen der Schwarzwaldflüsse - das zählt zu den ersten spektakulären Erfolgen eines Ökoexperiments, wie es ehrgeiziger kaum vorstellbar ist: des Versuchs, Deutschland wieder zur Heimat des Atlantischen Lachses zu machen.

Die Wiederansiedlung des edelsten aller Edelfische setzt eine Sanierung vieler hundert Fließgewässer von der Quelle bis zur Mündung voraus - ein Unterfangen, dessen Dimensionen allenfalls vergleichbar sind mit der erfolgreichen Bekämpfung des Waldsterbens und der Luftverschmutzung durch Kraftwerksfilter und Kfz-Katalysatoren in den achtziger Jahren.

Immerhin: In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ist die Qualität der deutschen Gewässer durch den Bau von Kläranlagen deutlich verbessert worden (siehe Seite 54). Selbst Industrie-Vorfluter im Ruhrgebiet haben sich "bestens erholt", wie das Regionalblatt "WAZ" schwärmt: "Kein Märchen könnte schöner sein."

Der Lachs aber braucht zum Leben mehr als gewöhnliche Grätentiere: Von allen Fischen stellt Salmo salar "die höchsten Anforderungen an Durchgängigkeit, Reinheit und Strukturvielfalt" der Gewässer, urteilt der VDSF, der ihn zum "Fisch des Jahres 2000" ernannt hat. Auch Agrarminister Karl-Heinz Funke schätzt den Lachs als "Parameter für einen weitgehend intakten aquatischen Lebensraum".

Überleben kann der Gallionsfisch aus eigener Kraft nur, wenn nach Fress- und Wanderjahren im Nordatlantik immer wieder genügend Exemplare zum Laichen in genau jene flachen, kühlen Bachabschnitte zurückfinden, in denen sie selbst einst aufgewachsen sind - sei es im deutschen oder tschechischen, schweizerischen oder französischen Einzugsbereich etwa der Elbe oder des Rheins. Die Aufgabe, vor der sich die deutschen Salmonidenfreunde sehen, erinnert in ihrer Komplexität und Kompliziertheit daher fast an die Order, die John F. Kennedy 1961 der Nasa erteilte: Bringt einen Menschen auf den Mond.

Die Einbürgerung des "Langdistanzwanderfischs" beispielsweise im Rhein setzt das Funktionieren einer Ökokette voraus, die über Tausende von Kilometern reicht: von der quellklaren Kinderstube in den Alpen bis zu den nahrungsreichen Salzfluten vor der Küste Islands - und retour.

Seit Jahrzehnten aber ist diese Kette an vielen Stellen unterbrochen: durch Wasserbauer, die Laichgründe vernichtet haben; durch Hochseefischer, die potenzielle Elterntiere abschlachten; durch Staumauern, die den Überlebenden die Rückkehr aus dem Meer ins Heimatgewässer verbauen und so eine Naturverjüngung des jeweiligen lokalen Stammes verhindern.

Gelänge es den Deutschen indessen, den so genannten Leitfisch ihrer Flussfauna wieder anzusiedeln, wären die Folgen phänomenal: Wo der sensible Lachs gedeiht, stellen sich andere rar gewordene Wanderschwimmer wieder ein, von der eng verwandten Meerforelle bis zum skurrilen Neunauge. Und auch Eisvogel und Fischotter könnten in den renaturierten Biotopen heimisch werden.

Schon jetzt befassen sich mit dem Projekt Lachs, dem wohl größten Ökoabenteuer dieses Jahrzehnts, Heerscharen von Experten in allen Anrainerstaaten des Rheins und der Elbe samt ihrer Zuflüsse von der Aare in der Schweiz bis zur Moldau im Böhmerwald. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, sind bereits astronomische Beträge in den Gewässerschutz geflossen: Allein am Rhein hat der Kläranlagenbau seit 1975 rund 100 Milliarden Mark verschlungen. Viel Geld wird folgen müssen, soll die Vision vom Lachsland Deutschland Wirklichkeit werden.

Bei einem Symposium hat der Hamburger Sportfischer und Fachjournalist Carl Werner Schmidt-Luchs jüngst vorgerechnet, welche Beträge bisher schon aufgewendet werden mussten, um die Rückkehr der ersten Lachse in den Rhein zu ermöglichen. Laut Schmidt-Luchs ist der Fisch, den der Biologe Nöthlich am 10. Juni bei Iffezheim beobachtete, mehr wert als ein BMW Z 8, das famose James-Bond-Auto: gut eine Viertelmillion Mark.


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Das Wunder an der Oste
Kaum ein Kreuzworträtsel-Freund kann die Frage nach dem "lk. Nebenfluss der Elbe", vier Buchstaben, auf Anhieb richtig beantworten. Auch der Heimatpoet Peter Schütt, der das vergessene Gewässer zwischen Elbe und Weser besingt, hat den Fluss nicht eben bekannter gemacht: "Die mich liebkoste, kam aus Osten an der Oste. Tief im hohen Schilfe bat sie mich um Hilfe ..."

Doch jüngst hat es die nasse Unbekannte zu einer gewissen Prominenz gebracht. Denn zwischen den Schilfgürteln, die den Dichter zu seinen Ergüssen - "Löse mir die Zöpfe, öffne mir die Knöpfe" - inspirierten, haben Liebesspiele ganz spezieller Art für eine biologische Sensation gesorgt: In der Oste, enthüllten Experten auf einer Tagung im schleswig-holsteinischen Warder, sei eine "sich selbst reproduzierende Population des Lachses" ansässig - Deutschland hat wieder zumindest einen richtigen Lachsfluss.

Jährlich suchen schätzungsweise 600 Rückkehrer aus dem Atlantik, gesteuert durch ihren Heimkehrdrang, instinktsicher den stillen Strom auf, um sich in dessen Zuflüssen zu paaren - bis auf zehn Meter genau dort, wo sie sich Jahre zuvor selbst auf die Reise durchs Leben gemacht haben.

Dass gerade die Oste zum "Paradegewässer für die Wiedereinbürgerung von Großsalmoniden in Deutschland" (VDSF) reüssieren konnte, ist nicht nur ihrer Wasserqualität zu verdanken, sondern vor allem der Dickschädeligkeit von ein paar sturmfesten Niedersachsen - voran zwei Handwerker von der Oste und ein Jazz-Musiker aus Ostfriesland. Sie alle waren besessen von der fixen Idee, dass es möglich sein müsse, den verschollenen Fischkönig heimzuholen.

Bereits in den achtziger Jahren begannen die Idealisten, die Oste und andere norddeutsche Gewässer mit Import-Lachsbrut zu impfen. Männer wie der Zevener Elektroniker Ernst Peters oder der Lamstedter Betonbaumeister Egon Boschen überwachten Brutanlagen, sortierten Schimmeleier aus, markierten Jungtiere und massierten Männchen den schuppigen Leib, bis die so genannten Milchner ihr Sperma ejakulierten - und wurden prompt verhöhnt: Sie seien wohl "brägenklöterig" (Plattdeutsch für bescheuert).

Hilfestellung leistete den Lachs-Enthusiasten schließlich der Freizeitfischer und Berufsmusiker Ede Brumund-Rüther, 52. Der Bauernsohn erinnerte sich an Überlieferungen, nach denen die Dörfler einst "mit Dreschflegeln und Forken die Lachse aus den Bächen geholt haben". Mit jahrelangen Archivstudien erbrachte er den Nachweis, dass der Lachs früher in Aberhunderten deutscher Bäche und Flüsse heimisch war - nicht nur in Gewässern, die den Salmo salar in ihrem Namen tragen wie der Salmbach in der Eifel oder der Lachsbach in Sachsen.

Der Fisch-Detektiv las, dass an einem Tag im Jahre 1443 "802 Lachse in einem Zuge" aus der Fulda gezogen wurden. Im Oberrhein tauchten im 17. Jahrhundert in jeder Saison 800 000 Winterlachse auf. "Die grösten Salmen bey unß kommen biß uff ein halben Centner schwer", heißt es in einer Chronik. In der Elbe waren so viele Lachse auf Achse, "dass das Flussbett sie nicht zu fassen vermochte".

Ermutigt durch solche Erkenntnisse, experimentierten die Norddeutschen auch mit norwegischer und irischer Lachsbrut. Mit Gleichgesinnten, die bald ihrerseits Bäche mit Lachsbrut oder Lachsbabys besetzten, tauschten sie sich aus über Laichhabitate und Brutkästen, Fischseuchen und Fischwanderzeiten - und schließlich auch über erste Erfolge.

Erwachsene Lachse kehren nicht nur in die Oste zurück, sondern etwa auch in die Delme und den Elbnebenfluss Luhe, wo sie 90 Jahre lang nicht mehr gesichtet worden waren. Bald nach dem "Lachswun-

der" in der Luhe meldeten Fachblätter eine "Naturschutz-Sensation" aus Sachsen: 1998 konnten in der Oberelbe, dem einst schmutzigsten Strom Deutschlands, 27 laichbereite Heimkehrer gefangen werden. Ungefähr dort, wo 1947 ein Fischer den letzten Lachs erbeutet hatte, fanden sich nun welche ein, die zwei Jahre zuvor als daumengroße Jungfische ausgesetzt worden waren und sich gen Island aufgemacht hatten.

Mit einem Schönheitsfehler allerdings war der Erfolg des Einbürgerungsprogramms "Elbelachs 2000" behaftet: Anders als die Lachse in der Oste, die frei von unüberwindlichen Barrieren ist, konnten die sächsischen Artgenossen ihr eigentliches Ziel nicht erreichen - ein Wehr an der Mündung des Lachsbachs in die Elbe schnitt den Laichtieren den Rückweg in das Laichgebiet ab, auf das ihr Instinkt sie auf ebenso rätselhafte wie phantastische Weise fixiert hatte.

Eine Naturverjüngung dieses Lachsstammes war damit zunächst ausgeschlossen - mangels jener "ökologischen Durchgängigkeit" (Fachterminus), die Wasserbauer jahrzehntelang dem Bau von Staustufen und Kraftwerken geopfert haben.

Zu den schönsten Momenten im Leben des Lachsfreundes Ede Brumund-Rüther zählte daher der Tag, an dem er Bilder sah von der Sprengung eines Wasserkraftwerks ("Diese Mistdinger!") nahe der Loire. Von dem Anblick schwärmt er noch heute: "Eine Augenweide, diese Fotos!"


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Grüner Strom, rote Ströme
Grellgelbe Feuerbälle waberten zum Himmel empor, unablässig detonierten Giftfässer - der 1. November 1986, an dem in Basel ein Chemikalienlager niederbrannte, wurde zum Schicksalstag nicht nur für Europas Schicksalsfluss Rhein, sondern auch für eine junge Biologin.

In einem Wasserwerk nahe Bonn erlebte Anne Schulte-Wülwer-Leidig, wie alle Trinkwasserbrunnen abgestellt werden mussten, weil eine 40 Kilometer lange Giftwoge den Rhein hinabrollte: Mit dem Löschwasser waren in Basel tonnenweise toxische Stoffe in den Strom geraten, der sich blutrot färbte. Über Hunderte Kilometer wurden alle Wasserlebewesen vernichtet, darunter 150 000 Aale.

Nach dem "Tschernobyl der Wasserwirtschaft" war der Naturwissenschaftlerin klar, "dass etwas passieren musste". Nur zwei Jahre nach ihrem "Schlüsselerlebnis" trat sie ihren Traumjob an - bei der "Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins" (IKSR), die 1950 als "Abwasserkommission" gegründet worden war.

Unmittelbar nach der Sandoz-Katastrophe setzten sich die IKSR-Mitglieder, die fünf Anrainerstaaten, für das Jahr 2000 ein utopisch anmutendes Ziel - im Rhein "früher vorhandene höhere Arten (wie etwa den Lachs) wieder heimisch" werden zu lassen. Obwohl klar war, dass die Rückkehr des populären Lachses "nicht Alleinziel, sondern Symbol" sein sollte, hieß das Programm bald "Lachs 2000".

Dass der gute Vorsatz tatsächlich binnen 14 Jahren umgesetzt werden könnte, daran habe, erinnert sich Schulte-Wülwer-Leidig, "niemand so recht geglaubt". Dennoch gelang der kühne Kraftakt - mit Milliardenaufwand. Am 11. Juli 2000, just zum 50. Gründungstag der IKSR, meldete die Vize-Geschäftsführerin Vollzug: "Mehrere hundert Lachse sind wieder im Rhein."

Allerdings musste sie einschränken: "Sie erreichen noch längst nicht alle Rheinnebenflüsse." Nachdem die Wasserqualität stark verbessert werden konnte, sehe sich die IKSR daher vor einer zweiten "großen Herausforderung": Durch so genannte Fischpässe und die Öffnung von Nebenarmen soll das Rheinsystem wieder für Wanderfische passierbar gemacht werden.

Zwar können Lachse meterhoch springen. Doch Staustufen sind für die Muskelfische noch immer so unüberwindlich wie im Jahre 1910, als Christian Morgenstern über einen Rheinlachs dichtete:

Er war schon weißgottwo,

doch eines Tages - oh! -

da kam er an ein Wehr:

das maß zwölf Fuß und mehr!

Zehn Fuß, die sprang er gut!

Doch hier zerbrach sein Mut.

Drei Wochen stand der Salm

am Fuß der Wasseralm.

Und kehrte schließlich stumm

nach Deutsch- und Holland um.

Damit sich heimkehrende Lachse etwa am Kraftwerk Lahnstein nahe der Mündung der Lahn in den Rhein "kein blutiges Maul holen", greifen Sportfischer zu einem Trick: Die Fische werden unterhalb der Staumauer mit Stromschlägen betäubt und im Oberwasser wieder ausgesetzt. Von dort aus können sie ihre Springprozession in die Laichgründe fortsetzen, in denen sie einst von ehrenamtlichen Lachswarten ausgewildert worden waren.

Während die Elbe - seit dem Bau einer 2,5 Millionen Mark teuren Fischrampe 1998 in Geesthacht - inzwischen bis Dresden "linear durchgängig" ist, ist der Oberrhein noch immer blockiert: Zehn Staustufen verstellen den Lachsen den Rückweg zu wichtigen Laich- und Jungfisch-Biotopen in Nebenflüssen und Altarmen.

Vergangenen Monat hat eine nach modernsten Erkenntnissen konstruierte Fischtreppe (Baukosten: 17 Millionen Mark) immerhin das nördlichste der Hindernisse, bei Iffezheim, passierbar gemacht. In drei Jahren soll die nächste Barriere, bei Gambsheim, entschärft sein; dann wären für den Lachs weitere Nebenflüsse im Schwarzwald und in den Vogesen erreichbar. Etwa 2020 wird, so schätzt Schulte-Wülwer-Leidig, der gesamte traditionelle Fischwanderweg frei sein - bis hinauf zum Rheinfall bei Schaffhausen.

Schon vorher wollen die deutschen Anrainerländer von Nordrhein-Westfalen bis Baden-Württemberg viele wichtige Rheinzuflüsse und deren Seitenbäche wieder passierbar machen - durch "Fischtreppen", "Bypässe" und "Umgehungsgerinne". Zugleich sollen Auen und Altarme geöffnet werden; das schafft nicht nur Laichzonen, sondern bremst auch Hochwasserwellen.

Mit Zuschüssen aus diversen Ökotöpfen wird derzeit allerorten gebuddelt. An der Kinzig etwa, einem Nebenfluss des Mains, wird eine Million verbaut - im Kiesgrund der Seitenbäche sollen eines Tages 30 000 Lachse laichen. An der Lahn, wo Gewässerkundler insgesamt 519 Hindernisse kartiert haben, stehen allein im rheinland-pfälzischen Flussabschnitt Bauten für rund zehn Millionen Mark an.

Doch das Projekt Fischtreppe könnte sich schon bald als gigantischer Schildbürgerstreich erweisen. Schuld daran hätten ausgerechnet deutsche Umweltschützer: Während eine neue Generation von Wasserbauingenieuren die Sünden der Väter repariert, um laichbereiten Altfischen den Aufstieg zu erleichtern, errichten Kraftwerksbauer derzeit überall an deutschen Gewässern neue Barrieren, die den Jungfischen den Abstieg erschweren.


Denn: Gefördert durch Subventionen und Garantiepreise für vermeintlich umweltgerechten Strom, entstehen Hunderte neuer "Kleinwasserkraftanlagen" (KWKA) mit weniger als einem Megawatt Jahresleistung; seit 1994 ist ihre Zahl von 4633 auf 6500 gestiegen. In den "Turbinchen", so beobachten Angler, werden die absteigenden Lachse "zu Sushi geschreddert".

Die Stromproduktion der mörderischen Minimühlen entspricht bisweilen lediglich der Leistung eines Mopeds. Die KWKA lieferten "weder zur Stromerzeugung noch zur Vermeidung von Treibhausgasen einen nennenswerten Beitrag", moniert der Verband der deutschen Fischwissenschaftler. Naturschutz- und Anglerorganisationen fordern daher, keine KWKA ohne Fischschutzvorkehrungen mehr zu genehmigen - anderenfalls werde der "grüne Strom" für "rote Ströme" sorgen.

Auch ohne die "Spaliere des Todes", wie die Anglerlobby die KWKA-Ketten nennt, wäre die Lachswanderung riskant genug. Die Chance, dass sich aus einem Lachsbrütling ein abwanderungsreifer Jungfisch ("Smolt") entwickelt, liegt bei drei Prozent. Von den ins Meer drängenden Smolts wiederum kehrt nur jeder 25. in sein Laichgewässer zurück.

Mit anderen Worten: Ob das "Endziel" (Minister Funke) einer "sich selbst reproduzierenden Lachspopulation" in deutschen Flüssen erreicht wird, entscheidet sich nicht zuletzt auf hoher See - wie etwa in den kühlen Nahrungsgründen nahe der Gletscher- und Geysir-Insel Island.


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Der Lachspapst von Reykjavík
Sekundenlang sirrt die Schnur über den Fluss, der wild und weiß durch die Stromschnellen tost. Auch wenn der große, silbrig glitzernde Fisch endlich, vielleicht nach Hunderten von Würfen, gebissen hat, ist das Duell nicht entschieden: Handelsübliche Haken biegt der Kämpfer mit den stahlharten Muskeln auf wie Blech.

Lachsfischen - in vielen Ländern "the noblest sport of all" - war auch das Hobby des isländischen Industriellen Orri Vigfusson, der mit der Herstellung von "Icy Vodka" und mit einem Duty-free-Shop ein Vermögen gemacht hat. Doch seit den achtziger Jahren kämpft er nicht mehr mit dem Wildlachs, sondern für ihn.

Damals hatte Vigfusson bemerkt, dass die Zahl der Silberlinge sank, die aus dem Ozean zum Ablaichen in Islands Flüsse zurückkehrten. Denn bald nachdem Forscher die bis dahin unbekannten nordatlantischen Weidegründe der europäischen und amerikanischen Lachse entdeckt hatten, begannen riesige Fangflotten, dem Luxusfisch auf hoher See nachzustellen. Der Zusammenbruch lokaler Bestände in Europa und Nordamerika war nur noch eine Frage der Zeit.

Weil internationale Abkommen gegen den Raubbau nicht griffen, entwickelte Vigfusson eine revolutionäre Idee: Der Millionär gründete 1989 den North Atlantic Salmon Fund (NASF), der den Fischern der Färöer für jeweils 688 500 Dollar deren jährliche Fangquote abkaufte - mit dem Ziel, auf diese Weise die Lachsbefischung zu unterbinden. Später legte der NASF mit Spenden von US-Anglern auch die westgrönländische Quote auf Eis.

Aus diesen Anfängen hat sich, wie der deutsche Sportfischerverband urteilt, "eine der aufwendigsten Artenschutzmaßnahmen der Menschheitsgeschichte" entwickelt. Ohne den "Lachspapst" und dessen NASF, so das Fachblatt "Rute und Rolle", wäre Salmo salar "im Nordatlantik vielleicht schon ausgestorben".

Anfangs war es Vigfusson nicht leicht gefallen, unter den Naturschützern der Nordatlantikstaaten Mitstreiter zu finden: "Unser Anliegen wäre wesentlich einfacher, wenn Lachse pelzig, warmblütig und kuschelig wären." Doch mittlerweile hat er viele Verbündete gewonnen, selbst in Deutschland, dem Lachsland in spe.

"Nur ein rückkehrender Lachs ist ein guter Lachs" - mit diesem Argument ist es dem Hamburger Unternehmensberater Peter Olbrich gelungen, in der Bundesrepublik Unterstützung für die Hochsee-Lachsschützer zu mobilisieren. Die Lobby für den Lachs, predigt Fliegenfischer Olbrich seinen Angelfreunden, dürfe sich ebenso wenig an Grenzen orientieren wie der Wanderfisch selbst.

Mittlerweile hat der Biologe ein Netzwerk von Gleichgesinnten gewoben. Olbrichs Lachs- und Meerforellen-Sozietät (LMS) wendet sich gegen Fischer, die vor den Rheinmündungen die Rückkehrer wegfangen. Im Internet (www.lms-online.de) warnt der Verein vor Gefahren, die dem Wildlachs durch Fischseuchen oder die Bastardisierung durch Gen-Lachse drohen, die aus Meeresfarmen ausreißen.

Immer wieder aber kann der LMS-Vorsitzende auch Erfolgsmeldungen ins Web stellen: Norwegen schränkt die Schleppnetzfischerei auf Lachs ein; Holland verlängert zu Gunsten der Rückkehrer die Öffnungszeiten seiner Schleusentore an den Rheinarmen; im US-Staat Maine wird ein Staudamm beseitigt, der die Lachswanderung behindert - für Olbrich der Beweis: "It can be done."

Als Lachspapst Vigfusson, selbst Spross einer Fischerfamilie, vergangenes Jahr nach Deutschland reiste, um seinen Mitstreitern zu danken, warb er für eine Trendwende im Umgang des Menschen mit dem Wasser. "Der Punkt, bis zu dem man zurückgeben musste, was man einem Flusssystem entnommen hat, haben wir überschritten", predigte er: "Jetzt müssen wir mehr zurückgeben, als wir entnehmen."

Quelle: 1518,91533,00.html

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